© Holger Christian Stockinger


Kein Wort


Kein Wort

beendet nichts

und fängt

nichts an


Kein Wort

das gibt nicht vor

was es

nicht kann


Kein Wort

macht auch nicht

ungeschehen

was da war


So bleibt –

wenn nur

der Mund nicht wär:

Der es gebar



(Gedicht aus dem Buch "Kein Wort", 2012)

Gedichte, Reime, Kalauer, Balladen, ironische Kurzgeschichten in eigenwilliger Diktion zur Reflektion, Schilderungen des Grotesken und Schönen im Alltag.

Der Dritte im Spiegel


Mit seinem Bild auf der Leinwand war er zufrieden, der Maler, wie er im Kino als anonymer Besucher den über ihn gedrehten Film nicht bis zur Fernsehausstrahlung abwarten wollte.


Er, der Anfangsvierziger, der es als Deutscher wie selbstverständlich geschafft hatte, in New York herumgereicht zu werden und Spitzenpreise erzielte, war nun zur Filmfigur geworden.


Und im Film sah er nun jemanden, "der ich bin", und der nun mich spielt, dachte er noch, wie der Vorspann endete.


Zwischen amüsiert und distanziert, weil er jemand war, der sich einerseits für ernst hielt, aber nicht zu ernst, wie er meinte, hielt er den Film für gelungen, bis es zu einer Stelle kam.


Auch die Filmmusik schien diese Stelle bemerkt zu haben.

 

Nachgestellt war die Szene einer Selbstportraitierung in seinem Atelier. Die Kamera blickt von hinten auf ihn. Links neben seiner Leinwand ein Spiegel. Mit seiner rechten Hand führt er den Pinsel. Und ist dabei, seinen Mund abzumalen. Nicht ganz genau so, wie sein Mund wirklich wäre, könnte er ihn direkt sehen. Kein Mensch kann das!


Und er dachte sich, wie oft sieht man eigentlich auf den Mund bei einem Gegenüber?


Und: - Erst schaut man sich in die Augen und sobald dann der andere ein Wort sagt, wird die Nase übersprungen und man sieht, dass der Mund sich dabei öffnet.


Die Kinoleinwand hatte optisch den Spiegel des Malers näher herangerückt. Dem Schnittmeister muss dabei aber entgangen sein, dass bei den Drehaufnahmen just in dieser Sekunde eine Beleuchtungslampe ausgefallen war. Und der Farbton damit eine Spur dunkler.


Der Maler im Kino bemerkte das aber sofort. So - wie es das absolute Gehör gibt bei wenigen Menschen, die Cis von D unterscheiden können, war es bei ihm die Nuance eines halben Farbtons.


Im Kino hatte trotz modernster Vorführtechnik die musikalische Untermalung eine Art Kratzer gemacht. So wie früher beim Rutschen der Nadel über eine Langspielplatte.


In einer Art epileptischen Krampfanfalls blitzte es in den Augen des sich selbst sehenden Malers als Doppelgänger auf der Leinwand.


Was er sah? - Jemand Dritten!


Wieder aufgewacht notierte er seinem Tagebuch:


Könnte es Gott geben, woran ich zweifle, stellt sich mir doch die Frage. Wieso sah in diesem Sekundenblitz meine Mutter aus wie des Teufels Großmutter?




(Kurzgeschichte, 2017)